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© Die Weltwoche; 25.03.2004; Seite 84; Nummer 13
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Menschlicher Hochdruck
Von Wolfram Knorr
Alle Achtung. Wo sonst das Betuliche erblüht, in der Ferne Sehnsüchte gestillt werden oder in die Klamotte abgehoben wird, demonstriert ein Schweizer Film, dass es geht: zeitgemässe Realitätsnähe auf die Leinwand zu bringen, und sogar mit Tempo und Mundwerk. Die häufig benutzte Ausrede, die Schweizer seien halt ein bisschen langsamer und schwerfälliger als ihre Nachbarn, war ohnehin immer eine selbst gemachte Legende. «MusicStar»-Juror Chris von Rohr forderte für die Popmusik «meh Dräck». Nun wurde der Imperativ auch im Film endlich mal umgesetzt. Hoffentlich kein Einzelfall.
«Strähl» heisst das schnelle, unprätentiöse Stück aus der Dschoint-Ventschr-Produktion, das der in Berlin lebende Zürcher Manuel Flurin Hendry inszenierte. Es ist ein Erstlingswerk und von der «Dogma»-Ästhetik beeinflusst. Hendry siedelt sein Drogenfahnder-Porträt wunderbar schnörkellos dort an, wo endlich mal ein Schweizer Film auch hingehört: in die Zürcher Langstrasse. Wieso muss es denn immer (zum Beispiel) Berlin sein? Ein raues, urbanes Milieu gibt es auch hier. «Strähl» hat noch andere Vorteile: Er folgt der Tugend des Schlackenlosen und verzichtet auf bleihaltige Ich- und andere Suchereien.
Die Geschichte geht so: Herbert Strähl (Roeland Wiesnekker), ein strohblonder Drogenfahnder, der zu Impulsivität neigt, tablettenabhängig ist und getrennt lebt, schlägt sich quälend mit Kleindealern herum, wird von seinen Kollegen im Stich gelassen und schliesslich beschuldigt, am Sturz eines Fixers aus dem Fenster verantwortlich zu sein. Er hat die Kompetenzen überschritten, Recht gebeugt und wird suspendiert. Strähl hat jedoch keine Lust, den Vorwurf auf sich sitzen zu lassen.
Der menschliche Hochdruck Strähls korrespondiert vortrefflich mit den Bildern der Langstrasse, der Polizei, den Fixern. Die Konfusion Strähls macht Sinn: Wir sind alle Täter und Opfer zugleich; dadurch entsteht ein echtes Porträt, wie es lange hier nicht zu sehen war. Da mag vielleicht ein Schweizer Filmpreis nicht winken (zu viel «Dräck»), wichtiger sind ohnehin überzeugende Drehbücher, die leider nicht vom Himmel fallen. |