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© Der Bund; 25.03.2004; Seite 18
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EIN FAHNDER VERRENNT SICH

Endlich wieder ein guter Cop-Film aus der Schweiz: Der Thriller «Strähl» macht die Langstrasse zur «mean street». Die Autoren von «Achtung, fertig, Charlie!» können auch anders: In «Strähl» hetzen sie einen kaputten Fahnder durch die Langstrasse. Regisseur Manuel Flurin Hendry hat die Vorlage rasant und dreckig verfilmt. Ein Heimatfilm auf der Höhe der Zeit.

Von Thomas Allenbach

Herbert Strähl hat es mit den Fischen. Dem Cop mit den berufsbedingten Augenringen zeigt sich das Wesen der Welt sinnbildlich in der Welt dieser Tiere. «Die grossen Fische fressen die kleinen», bläut er dem Kleindealer Beko ein, «ausser du bist ein Piranha – und du bist keiner.» Bloss ein kleiner Fisch wie die Dealer, mit denen er sich in einem täglichen Abnützungskampf befindet, ist aber auch Strähl. Seinen frustrierenden Job bewältigt er nur mit Medikamenten und mit der Flucht in den Traum vom grossen Fang und von der eigenen Stärke. Zuhause hält er sich einen Piranha – der wird den Film aber nicht überleben.

Die Sucht ist das Band, das Strähl mit denen verbindet, die er täglich bekämpft und denen er immer ähnlicher wird. Als bei einer Hausdurchsuchung ein Fixer aus dem Fenster stürzt, wird der für seine unzimperlichen Methoden bekannte Fahnder suspendiert. Der nimmt wie Dirty Harry das Gesetz in die eigene Hand, begibt sich dabei in die Abhängigkeit eines Fixerpärchens und wird zum Spielball seiner Obsession. Strähls Pläne werden immer panischer, seine Ermittlungen gleichen mehr und mehr dem Amoklauf eines Süchtigen.
«Mit Strähl möchte ich nicht Dienst tun», sagte im «Tages-Anzeiger» ein realer Fahnder. Strähl sei zu cholerisch, chaotisch und unzuverlässig. Auch sonst, so der Fachmann, entspreche der Film nicht immer der Realität. So sei der Umgangston zwischen Fahndern und Süchtigen heute fast kollegial, die Langstrasse nicht in der Hand von Albanern, sondern von Dominikanern und Schwarzafrikanern, und gehandelt werde nicht in erster Linie Heroin, sondern Kokain.

Wie auch immer im einzelnen die Befunde ausfallen: Dass «Strähl», der deutlich als Genrefilm zu erkennen ist, an der Realität überprüft wird, ist ein Beweis für seine Qualitäten. In seinem Kinodebüt gelingt Manuel Flurin Hendry nämlich, was gute Polizeifilme auszeichnet: Die glückliche Synthese von Genrekino und konkreter Verortung in der Realität. Das zeigt sich auch an der Hauptfigur: Zwar ist Strähl unübersehbar ein Polizist in der langen Tradition kaputter Filmcops, doch seine Heimat ist nicht nur das Kino, sondern auch ein Lebensraum in der Schweiz von heute: Strähl ist ein Mensch der Zürcher Langstrasse, die in diesem Film nicht bloss urbane Kulisse ist, sondern – ähnlich wie in Kurt Frühs Klassiker «Bäckerei Zürrer» aus dem Jahre 1957 – eine Hauptrolle spielt.

«Strähl» ist deshalb nicht nur ein Polizeithriller, sondern auch ein Heimatfilm, eine zeitgenössische Variante zu Frühs Film. Ging es in «Bäckerei Zürrer», in dem Früh «seine» Welt liebevoll porträtierte, um die Aussöhnung zwischen Schweizern und Italienern und spielte dabei die Familie eine zentrale Rolle, so sind in «Strähl» die Konflikte und die sozialen Beziehungen explodiert. Die Langstrasse ist ein Ort gehetzter Familienloser, ein Biotop, in dem kleine Fische ums Überleben kämpfen. Von Frühs gemütlicher Kleinbürgerlichkeit ist nichts mehr geblieben. In «Strähl» wird Zürichs «sündige Meile» zur «mean street».

Den Dealern, Süchtigen, Nutten und Polizisten haben die Drehbuchautoren Michael Sauter und David Keller genau aufs Maul schaut. Ihre Dialoge zählen zu den Stärken des Films, sie sind knapp, der «Sound» stimmt. Man glaubt den beiden, wenn sie sagen, die Idee zum Film sei ihnen gekommen, als sie auf der Langstrasse Zeugen eines filmreifen Dialogs zwischen zwei Junkies wurden. Dass hinter «Strähl» dieselben Autoren stecken wie hinter der Militärklamotte «Achtung, fertig, Charlie!» würde man auf den ersten Blick kaum vermuten. Allerdings verbindet die beiden Drehbücher, dass in ihnen amerikanische Vorbilder auf Schweizer Verhältnisse adaptiert worden sind.

Im befreundeten Manuel Flurin Hendry haben die beiden den idealen Regisseur gefunden. Der Zürcher mit Jahrgang 1973 hat das Buch rasant und dreckig mit kleinem Team und wenig Geld verfilmt. Eine glückliche Hand bewies Flurin, der in Berlin Film studierte und seit 1995 dort lebt, auch bei der Besetzung. Roeland Wiesnekker spielt den kaputten Cop mit atemberaubender Präsenz. Sein Spiel ist körperlich, intensiv, rückhaltlos. Der 36-jährige Zürcher, der vor allem als Nachfolger von Martin Schenkel in der Sonntagabend-Soap «Lüthi & Blanc» bekannt geworden ist, kommt seiner Figur so nahe, dass man fürchtet, er könnte sich daran verbrennen. Seiner ungestümen Energie hält Johanna Bantzer in der Rolle der drogensüchtigen Carol erfolgreich stand. Die 26-Jährige, die zum Ensemble des Basler Theaters gehört, hat mit ihrer Leistung auch die Jury des diesjährigen Max-Ophüls-Preises in Saarbrücken überzeugt. Diese zeichnete sie zurecht als beste Nachwuchsdarstellerin aus.

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